Skip to content

Eine Einführung in die Kartografierung lokaler Rüstungsindustrie und ihrer sensiblen Punkte

Übernommen von der Seite ruestungsindustrie.noblogs.org

Wozu bedarf es überhaupt einer sorgfältigen Analyse der Rüstungsindustrie mit all ihren Zulieferern, Logistikern, Financiers, Forscher*innen und Fürsprecher*innen? Genügt es nicht zu wissen, wo die großen Hersteller von Waffen und Kriegsgerät sitzen, um diese angreifen zu können? So wie sich etwa die Kampagne Rheinmetall Entwaffnen zumindest grundsätzlich darauf festgelegt hat, ihren Widerstand gegen die Rüstungsindustrie vor allem auf eines der größten deutschen Rüstungsunternehmen, den Rheinmetall-Konzern zu konzentrieren? Natürlich wäre es ein großer Sieg, die großen Rüstungskonzerne, deren Kerngeschäft sich um Waffen und Kriegsgerät dreht, erfolgreich zu zerschlagen, aber wenn man einmal realistisch bleibt, so bieten die stacheldrahtbewehrten, kameraüberwachten und von Sicherheitsleuten bestreiften Werksgelände von Unternehmen wie Rheinmetall, Krauss-Maffai Wegmann, Heckler & Koch, DIEHL Defence, Airbus und Co. nur einen geringfügigen Spielraum für (feinmotorische) Sabotagen und Angriffe. Sicher sind es die Produzenten von Panzern, Jagdflugzeugen, Maschinengewehren, Raketen und Bomben, die uns allen ein besonderer Dorn im Auge sind, die am sichtbarsten jenes Equipment produzieren, mit dem anderswo auf der Welt Morde, Genozide und Gemetzel verübt werden, um die sich folglich also auch immer wieder sozialer Protest regt, aber nur weil es der Rüstungsindustrie halbwegs gelungen ist, ihre übrige Struktur, ihre Logistik und ihre Profiteur*innen zu verbergen, so müssen wir, als Antimilitarist*innen und Anarchist*innen dieser Finte doch nicht ebenfalls auf den Laim gehen.

Eine sorgfältige Analyse der Rüstungsindustrie, die deren Netzwerke, Verstrickungen, Zulieferer, Logistik, deren Forschung und Fürsprecher*innen, sowie nicht zuletzt auch ihre Geldgeber*innen offenlegt, vermag einerseits aufzuzeigen, wie eng verzahnt Technologie und Produktion mit dem Krieg sind und sich damit gegen den Mythos wenden, irgendein (Rüstungs-)Konzern könne einfach so „entwaffnet“ werden und fortan zivile Güter zum allgmeinen Wohlstand produzieren, andererseits kann eine solche Analyse auch jene Schwachstellen aufzeigen, an denen Sabotagen und Angriffe auf eine sehr viel niederschwelligere Art und Weise möglich sind, an denen keine stacheldrahtbewehrten Zäune überwunden, Kameras ausgetrickst und sich schließlich noch mit dem Sicherheitspersonal angelegt werden muss, bevor man überhaupt auf dem weitläufigen Gelände einer der Produktionsstätten des organisierten Mordens steht. Und doch Angriffe, die eben genau das selbe bedingen können, nämlich stillstehende Produktionshallen und/oder die Vernichtung des bereits produzierten Kriegsgeräts, bevor es überhaupt eines der Schlachtfelder dieser Welt erreicht.

Wenn etwa bei MAN, ebenso wie anderen Fahrzeugherstellern die Fertigungslinien still stehen, weil es an Halbleitern mangelt [1], dann zeigt uns das, wie fragil die Produktion von Hightech-Gerät ist, wie sehr sie nicht nur von bestimmten Rohstoffen, sondern auch von einer mehr oder weniger ununterbrochen funktionierenden Kette an Zulieferern und jener Logistik, die diese Komponenten zu den Produktionsstätten des Endprodukts befördert, abhängt. LKW, Panzer, Kriegsschiffe, Kampfflugzeuge, ja selbst weit weniger komplexe Systeme wie Sprengstoffe, Gewehre und Schusswaffen und deren Munition, all das benötigt diese ununterbrochen funktionierenden Ketten von Zulieferern, die zudem oft nicht nur über das ganze Land verteilt sitzen, sondern auch auf internationale Lieferungen von Rohstoffen und Bauteilen angewiesen sind. Und gerade in der Rüstungsindustrie, gerade im Bereich komplexer Systeme wie Fahrzeugen aller Art, wo nicht abertausende Endprodukte gefertigt werden, sondern vielmehr wenige dutzende, bis hunderte, da mag es schon einmal vorkommen, dass Ausfälle von Lieferanten, die ein speziell gefertigtes Bauteil liefern, das sehr viel Know-How erfordert oder auch einfach nur spezielle oder speziell eingestellte Maschinen, die gesamte Produktion des Endprodukts über eine längere Zeitspanne hinweg einbrechen lassen.

Unter anderem hierin, in der konkreten Identifikation derartiger Schwachstellen bei der Produktion von Waffen und Kriegsgerät sehen wir den Hauptgewinn einer sorgfältigen Analyse der Rüstungsindustrie und auch wenn wir in diesem Projekt versuchen, möglichst das gesamte Netzwerk der Rüstungsindustrie in Deutschland sichtbar zu machen, auf dass ein*e jede*r noch sehr viel mehr Schwachstellen zum Ansetzen von Sabotage und Angriffen finden möge, soll der folgende Artikel eben einen Schwerpunkt auf ersteres legen.

Also wie lässt sich das (lokale/regionale) Netzwerk der Rüstungsindustrie aufdecken?

1. Ein paar mögliche Ausgangspunkte

  • Lokale Streitkräfte und Polizeibehörden
    Naheliegend ist, seine Recherchen bei den lokalen Truppen, seien sie nun militärisch oder polizeilich, zu beginnen. Immerhin setzen diese genau jenes Gerät und jene Waffen ein, die die Rüstungsindustrie für sie produziert. Also welche Fahrzeuge fahren diese Truppen? Welche Marke haben ihre Funkgeräte? Welche Hersteller produzieren ihre Waffen? So banale Fragen (über die im Zweifel sogar eine*r der Söldner*innen Auskunft geben wird), werden zu den ersten Unternehmen führen, die Teil der Rüstungsindustrie sind.
  • Bereits bekannte Rüstungsunternehmen
    Eine andere Möglichkeit ist bei bereits bekannten Rüstungsunternehmen, d.h. in der Regel bei solchen, deren Geschäftstätigkeit ausschließlich die Herstellung von Waffen und/oder Kriegsgerät ist, zu beginnen. Dazu können Zeitungen, ebenso wie das Internet durchforstet werden und schon so banale Suchanfragen wie „Rüstungsunternehmen Deutschland“ werden eine ganze Liste solcher Firmen ausspucken.
  • Lobbyverbände
    Das ist eine der ergiebigsten Quellen, um einen unfangreichen Überblick über zentralere Akteure der Rüstungsindustrie zu gewinnen. Auch wenn viele Unternehmen nicht offen damit werben, dass sie einen Teil ihres Gewinns damit machen, dass anderswo Menschen gemetzelt werden, wollen sie dennoch, dass die Politik, sowohl die nationale, als auch die internationale, ihre Interessen vertritt und sowohl dafür sorgt, dass derlei Gemetzel rege stattfinden, als auch, dass es ihnen erlaubt ist, die Schlächter dieser Welt mit der dafür notwendigen Ausrüstung zu versorgen. Dazu schließen sie sich in Lobbyorganisationen zusammen, deren Mitgliederlisten folglich Aufschluss darüber geben, wer alles ein Interesse an einer florierenden Rüstungsindustrie hat. Natürlich nennen sich solche Lobbyverbände nicht „Freund*innen des anhaltenden Gemetzels“, sondern geben sich eher Namen wie „Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie e.V. (BDSV)“ oder „AeroSpace and Defence Industries Association of Europe (ASD)“, sowieso sind „Verteidigung“/“Defence“ und „Sicherheit“ häufige Begriffe, mit denen das Metzeln verschleiert werden soll. Manchmal nennen sich entsprechende Lobbyverbände aber auch etwas unverhohlener „Förderkreis Deutsches Heer e.V.“ oder „Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik e.V. (DWT)“.
  • Konferenzen und Messen
    Ebenfalls gute Ausgangspunkte sind auch diverse Konferenzen und Messen, auf denen sich die verschiedenen Freund*innen des Gemetzels aus Politik, Wirtschaft und Militär tummeln. Ein Beispiel ist etwa die international bedeutsame „Munich Security Conference“, aber auch Waffenmessen und dergleichen offenbaren in Form ihrer Aussteller*innen die Unternehmen der Rüstungsindustrie.

2. tiefer graben

2.1 Internet-Recherchen

Wo sich heute so gut wie jedes Unternehmen seinen Kunden und der Öffentlichkeit im Internet präsentiert, erleichtert das die Recherche von Lieferketten zuweilen ungemein. Zwar führen Unternehmen – und Rüstungsunternehmen schon gar nicht – in der Regel keine Listen über ihre Zulieferer, wohl aber geben vor allem kleinere Unternehmen, aber nicht nur die, oft damit an, wen sie alles beliefern dürfen. Unter den Stichworten „Referenzen“, „Fallstudien“/“Case Studies“, „Kunden“ oder „Projekte“ listen viele Unternehmen auf ihren Webseiten auf, wen sie alles beliefern. Manchmal, besonders im Fall von „Fallstudien“/“Case Studies“ geben sie sogar detaillierte Auskünfte darüber, welches Produkt sie an ein Unternehmen liefern, und wozu dieses dort eingesetzt wird. Nun steht man zwar vor dem Problem, dass man zwar die Unternehmen und Streitkräfte kennt, deren Lieferanten eine*n besonders interessieren, jedoch aus Unkenntnis dieser Lieferanten eben nicht auf deren Webseite nachsehen kann, ob sie diese Unternehmen/Streitkräfte beliefern (und das angeben). Aber das ist kein Problem, das eine Suchmaschine nicht lösen könnte. Man braucht beispielsweise nur nach soetwas wie „Referenzen Rheinmetall“ zu suchen, und schon spukt die einer*m eine ganze Liste an Unternehmen aus, die angeben, dass sie das Unternehmen Rheinmetall beliefern. Das gleiche funktioniert natürlich auch für die „Bundeswehr“, das „Bundeskriminalamt“, die „Bundespolizei“, das „Bundesamt für Ausrüstung Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr“ und jedes andere Rüstungsunternehmen. Banal, nicht?

Aber es geht noch banaler: Immerhin besteht der gesamte militaro-industrielle Komplex auch zu einem gewissen Teil aus irgendwelchen Waffen-, Flugzeug- und Panzerfreaks, die selbstverständlich auch unterhalten und mit Informationen versorgt werden wollen, sei es dazu, wie schnell so ein Kampfflugzeug fliegt, wie weit ein Panzer schießt oder eben wo dieses gefährliche Spielzeug gefertigt wird. Und diese Informationen finden sich in allerhand Fachzeitschriften und/oder entsprechenden Webseiten, wie beispielsweise der FlugRevue (https://www.flugrevue.de/militaer/). Und dann gibt es da noch die digitalen Branchenbücher, mit denen sich die Rüstungsunternehmen versuchen, Aufträge zu sichern oder etwas dergleichen und die zuweilen soetwas ähnliches wie unser Projekt versuchen, nur eben mit einer entgegengesetzten Zielrichtung (https://www.army-technology.com/company-a-z/, https://www.naval-technology.com/company-a-z/, https://www.armscom.net/companies, https://www.armscom.net/world-defense-industry-map). Da bleibt unser einer*m eigentlich kaum noch etwas zu tun, außer uns dieser Informationen zu bedienen, oder?

2.2 geografische Streifzüge

Wenn man erst einmal ein paar der großen Produktionsstätten ausgemacht hat, Militärstützpunkte in der eigenen Umgebung lokalisiert hat und Forschungseinrichtungen, die sich spezifisch mit Rüstungsthemen und angrenzenden Fragen (Luftfahrt, Marine, Raumfahrt, sowie die meiste Nachrichtentechnik, u.v.m.) beschäftigen und mit entsprechenden Unternehmen zusammenarbeiten, ausfindig gemacht hat, dann lohnt es sich oft, sich auch dorthin zu begeben und diesen Ort einmal genauer unter die Lupe zu nehmen:

  • Technologiepartner haben oft ihre Standorte und Zweigstellen direkt am oder sogar auf dem Produktionsgelände der Rüstungsproduzenten. Immerhin ist gerade bei den komplexeren Systemen, die gemäß Kundenwunsch gefertigt werden, ihr Rat häufig gefragt und da ist es sehr viel einfacher, wenn man quasi Haustür an Haustür wohnt.
  • Auf und an Forschungscampusen sind oft jene Unternehmen mit einem Büro oder einer Zweigstelle vertreten, die ein besonderes Interesse an der dort betriebenen Forschung haben.
  • Logistikdienstleister und andere Dienstleistungsunternehmen haben ihre Standorte und Zweigstellen ebenfalls auf oder nahe am Produktionsstandort der von ihnen belieferten Produzenten. Bei jenen Dienstleistern, die sich auf die Rüstungsindustrie spezialisiert haben, ist das nicht anders und kommt vielleicht sogar noch häufiger vor, immerhin kann so das Rüstungsunternehmen besser überprüfen, ob auch alle Sicherheitsstandards beim Transport eingehalten werden.
  • Ganz allgemein siedeln sich kleinere Zulieferer, die auch oftmals aus der Auslagerung bestimmter Unternehmensbereiche oder auch aus Startups entstehen, häufig in der unmittelbaren Nähe ihrer Großkunden an.
  • Im Bereich der Luftfahrt, aber ebenso im Bereich der Marine und häufig auch im Fahrzeugbau haben sich so über die Jahre oft riesige Gewerbegebiete gebildet, in denen von spezialisierten Beratungsunternehmen, über Zulieferer und Logistikdienstleister, Softwareunternehmen bis hin zu Produzenten häufig ein Querschnitt durch eine ganze Branche vertreten ist.

All das lässt sich durch einen Besuch vor Ort feststellen. Namen von ebenfalls ansässigen Unternehmen oder auch die Unternehmensnamen auf fremden Firmenfahrzeugen auf den Parkplätzen lassen sich so notieren und später recherchieren, um was für Unternehmen es sich handelt und ob eine Verbindung zu dem fraglichen Rüstungsunternehmen plausibel ist. Findet man nichts eindeutiges heraus, hält eine Verbindung aber für plausibel und vor allem für relevant, lohnt es sich zuweilen durchaus genauere Nachforschungen (wie in Schritt 3 angedeutet/beschrieben) anzustellen.

3. Der Teufel steckt im Detail

Mithilfe der in den Schritten 1 und 2 beschriebenen Methoden lässt sich bereits ein Großteil derjenigen Unternehmen identifizieren, die mehr oder weniger offen einräumen, dass sie etwas mit der Rüstungsindustrie zu tun haben. Was aber ist mit jenen Unternehmen, die derartige Verbindungen um jeden Preis zu verbergen versuchen, weil sie etwa fürchten Opfer von Angriffen und Sabotagen zu werden, oder auch, weil sie negative Schlagzeilen um ihr Unternehmen fürchten? Sind nicht gerade auch diese Unternehmen von großem Interesse dabei, Schwachstellen in den Produktions- und Lieferketten der Rüstungsindustrie und ihrer Logistik zu identifizieren?

Also tauchen wir noch ein wenig tiefer in die Materie ein.

3.1 verräterische Bürokratie

Viele Unternehmen geben auf ihren Webseiten und nach Möglichkeit auch sonst nirgends, wo dies massenhaft auswertbar wäre, lieber nicht an, dass sie Armeen und/oder die Hersteller von Waffen und Kriegsgerät beliefern. Sie treten auch nicht den einschlägigen Lobbyverbänden der Rüstungsindustrie bei und sind bei Waffenmessen und dergleichen nicht vertreten. Es sind häufig jene Unternehmen, die einzelne Teile für beispielsweise Panzer liefern, deren Geschäftstätigkeit jedoch hauptsächlich darin besteht, die selben oder ähnliche Teile für z.B. die Automibilindustrie oder die Hersteller von schweren Baumaschinen zu liefern. Oder es sind Megakonzerne der Technologie- und Chemiebranche, deren Lösungen und Produkte in bestimmten Bereichen gewissermaßen Industriestandard geworden sind und die die Hersteller von Panzern, Kampfjets, Kriegsschiffen, Raketen, Satelliten und Waffen selbstverständlich ebenfalls beliefern, so wie sie oft auch Aufträge von Polizei, Militär und Geheimdiensten entgegen nehmen. Aber warum sollten sie das öffentlich kund tun? Sie brauchen diese Art der Werbung nicht, weil sie ohnehin direkte Kontakte besitzen und/oder ihre Kunden sowieso auf sie zukommen.

Was jedoch als eine Leistung oder ein Produkt dieser Unternehmen nicht beschrieben wird, das hinterlässt häufig dennoch gewisse bürokratische Spuren. Immerhin ist die Rüstungsindustrie eine Branche, die sehr viel auf Geheimhaltung setzt, sei es von den militärischen Auftraggebern verordnet oder aus eigenem Interesse. Und da verlangt man oft eben auch von seinen Zulieferern, die Zugang zu bestimmten Informationen haben, dass diese die entsprechenden Standards der Geheimhaltung umsetzen. Zudem gibt es in beinahe allen Ländern umfangreiche staatliche Verordnungen, die den Export und damit auch den Transport von Rüstungsgütern regeln. Und damit all das in der gesamten Produktionskette auch eingehalten wird, weisen Zulieferer oft schon entsprechende Zertifizierungen und Kompetenzen auf ihren Webseiten nach, ebenso wie die Produzenten oft entsprechende Formulare bereithalten, in denen derlei Zertifizierungen von ihren Lieferanten abgefragt werden. Und das ist natürlich verräterisch:

  • Logistikunternehmen, die Gefahrgüter der Klasse 1 (explosive Stoffe) transportieren dürfen/können, haben sich sicherlich nicht umsonst um diese Zulassung bemüht. Und wenn sie dann auch noch Dienstleistungen anbieten, Güter zu transportieren, die unter das Kriegswaffenkontrollgesetz fallen, oder eine Erlaubnis des BKA besitzen, verbotene Waffen zu transportieren und/oder zu lagern, dann verfliegt schließlich jeder Zweifel daran, dass es sich hier um Logistikdienstleister der Rüstungsindustrie handeln muss.
  • Unternehmen, die bei der Suche nach Mitarbeitern in den Stellenausschreibungen betonen, dass eine Bereitschaft zur Sicherheitsüberprüfung (Ü1, Ü2, Ü3) im personellen Geheim- und Sabotageschutz nach dem Sicherheitsheitsüberprüfungsgesetz (SÜG) der Bewerber*innen vorhanden sein sollte, weist häufig darauf hin, dass diese Unternehmen Aufträge von Behörden des Bundes, die eine besondere Geheimhaltung erfordern, entgegennehmen. Das sind sehr häufig Aufträge von Bundeswehr, Geheimdiensten und Polizeibehörden.
  • Rüstungsunternehmen, sowie deren Zulieferer setzen häufig bestimmte Normen um, die entsprechende Unternehmensabläufe standardisieren und zertifizieren. Die ISO Norm 9001 beispielsweise entspringt der Rüstungsindustrie und kann ein Hinweis darauf sein, dass ein Unternehmen in dieser Branche tätig ist, sie wird jedoch mittlerweile auch von Unternehmen aus anderen Branchen umgesetzt. Die internationale Norm AS9100 ist da schon spezifischer und zertifiziert Unternehmen der Luft-, Raumfahrts- und Verteidigungsindustrie. Unternehmen, die derartige Normen umsetzen sollten zumindest im Verdacht stehen, mit der Rüstungsindustrie zu tun zu haben. Darüber hinaus gibt es etwa die United States Military Standards (MIL-*), die spezifische Normen für militärische Produkte festlegen und von entsprechenden Unternehmen umgesetzt werden. Die Umsetzung eines solchen Standards qualifiziert ein Unternehmen eindeutig als Rüstungsunternehmen.

3.2 sich die Hände schmutzig machen

Die bisher beschriebenen Methoden funktionieren sehr gut, um eine relative Breite an Informationen über die Rüstungsindustrie und ihre Zulieferer & Co. in Erfahrung zu bringen und man ist häufig überrascht, welche Informationen sich auf diesem Wege ermitteln lassen. Trotzdem stoßen sie an ihre Grenzen, wenn man sich beispielsweise sehr konkret für ein bestimmtes Unternehmen interessiert, oder auch für bestimmte Details. Letzten Endes wird man in diesen Fällen nur selten darum herum kommen, hinter dem Bildschirm hervorzukommen und ein paar Besuche zu machen. Wenn wir im folgenden versuchen, ein paar einfachere Methoden der Recherche vor Ort zu skizzieren, dann jedoch nicht ohne die Warnung auszusprechen, dabei immer auf deine Anonymität zu achten. [2] Es mag zwar vieles hier beschriebene völlig legal sein oder sich zumindest nicht um schwerwiegende Straftaten handeln, wenn jedoch der Zweck dieser Recherche ist, Schwachpunkte für einen späteren Angriff zu identifizieren, dann birgt es immer auch ein Risiko, dass später nachvollzogen werden kann, woher die für einen solchen Angriff benötigten Informationen stammen. Und nicht selten werden zu diesem Zweck auch einmal die Videoüberwachungsdaten der letzten Wochen und Monate ausgewertet, um auffällige Personen, die sich ein Gelände genauer angesehen haben, zu identifizieren und dergleichen mehr.

3.2.1 Besucher

Will man herausfinden, wer Zulieferer und Kund*innen eines Unternehmens sind, welche Dienstleister innerhalb des Unternehmens tätig sind, usw., so ist es naheliegend, sich die Besucher*innen dieses Unternehmens näher anzusehen:

  • Wenn es sich um einen größeren Unternehmenssitz mit mehreren Gebäuden auf einem (meist eingezäunten) Werksareal mit mehreren Zugängen handelt, so macht es zunächst einmal Sinn, in Erfahrung zu bringen, welche Gebäude und vor allem welche Werksgeländezugänge relevant sind. Je nach Art von Besucher*in kommen dafür verschiedene Möglichkeiten in Betracht:
    • Unternehmensvertreter, egal ob Kunden oder Lieferanten, werden meist in den repräsentativeren Gebäuden empfangen, und gelangen in aller Regel über den Haupteingang/Empfang auf das Gelände.
    • Handwerker/Servicepersonal/ortsansässiges externes Personal anderer Unternehmen, das regelmäßig zu Besuch ist und vor Ort in die Abläufe des Unternehmens integriert ist, kann oft die gleichen Zugänge nutzen, wie auch das unternehmenseigene Personal, was eine Beobachtung sicherlich erschwert. Besonders typisch ist das für langfristig vor Ort eingesetztes IT-Personal, mit Umbau- und Reperaturarbeiten betraute Handwerker, sowie von den Hersteller*innen von Maschinen und Co. längerfristig entsandtes Wartungspersonal. Auch Sicherheitsdienste sind oft extern beauftragt. Bei sehr großen Werksgeländen, die nicht ohne weiteres hindernissfrei durchquert werden können, betritt externes ebenso wie internes Personal das Gelände meist in der Nähe ihres Einsatzortes, ist das Werksgelände jedoch eher überschaubar, dann hängt es oft von der Art der Anreise ab, wo das Personal das Werksgelände betritt.
    • Konkrete Lieferungen erreichen die Unternehmen über die Lieferanteneingänge. Wenn es einem um die Logistikunternehmen und/oder um deren Fracht geht, dann sind diese in der Regel der geeignete Ort.
  • Oft haben Unternehmen auch Besucher*innenparkplätze, die entsprechend zu einer Analyse der Besucher*innen ebenfalls interessant sein können.
  • Gerade die Vertreter*innen von Kunden und Zulieferern sind in der Regel nicht uniformiert, d.h. sie tragen den Namen ihrer Firma nicht auf ihrer Kleidung und häufig auch nicht auf ihren Fahrzeugen. Damit bleibt natürlich zunächst einmal undurchsichtig, woher ein Besucher stammt. Folgende Möglichkeiten bieten sich an:
    • Teilweise geben von außen einsichtige Dokumente in Fahrzeugen auf Besucherparkplätzen Auskunft darüber, für welches Unternehmen ein Besucher arbeitet (Ausgedruckte Schreiben mit Anfahrtsbeschreibung, Parkausweise oder irgendwelcher Firmenmerch werden oft achtlos und sichtbar im Wageninneren liegen gelassen).
    • Das von Unternehmen, die besondere Sicherheitsinteressen haben, umgesetzte „Besuchermanagement“ sieht häufig vor, dass Besucher*innen (und meist auch Angestellte) auf dem Werksgelände offen sichtbar einen entsprechenden Ausweis mit sich führen, auf dem Name und Unternehmen vermerkt sind. Wenn es gelingt, einen Standort einzunehmen, von dem aus diese Ausweise gesichtet/fotografiert werden können, kann das die gewünschte Erkenntnis bringen.
    • Natürlich können Besucher*innen nachdem sie das Gelände wieder verlassen auch observiert werden, in der Hoffnung, dass diese im Anschluss an ihren Unternehmenssitz zurückkehren. Abgesehen davon, dass das unter allen Umständen unbemerkt bleiben sollte und daher sehr aufwändig ist, sollte man sich jedoch überlegen, ob das den Aufwand wert ist. Oft kehren Vertreter*innen nicht direkt in ihr Unternehmen zurück, sondern besuchen noch weitere Kunden oder fahren im Anschluss an ihren Kundenbesuch nach Hause, machen Mittagspause, fahren ins Hotel, usw. Vielfach haben sie auch lange Anreisewege, wenn ihre Firma keinen Sitz vor Ort hat. Jemanden über hunderte Kilometer zu verfolgen, nur um dann festzustellen, dass er*sie nach Hause gegangen ist, etc. ist ziemlich frustrierend und meist gibt es einfachere Möglichkeiten.
    • Besucher*innen, die das Gelände verlassen können natürlich auch unter einem erfundenen Vorwand angesprochen werden, in dem Versuch, sie entsprechend auszufragen. Allerdings sollte dabei darauf geachtet werden, dass dies möglichst außerhalb des Blickwinkels irgendwelcher Kameras passiert und auch für die Besucher*innen selbst unauffällig/uninteressant bleibt. Kaum etwas ist schlimmer als eine Begegnung, die jemandem langfristig in Erinnerung bleibt.

3.2.2 Mitarbeiter

Will man mehr über die internen Mechanismen eines Unternehmens herausfinden, kann es Sinn machen, mit den Mitarbeitern dort zu sprechen. Je nachdem wie banal eine Information ist (manchmal reicht auch ein „Sag mal ich habe mich immer schon gefragt, was ist das hier eigentlich, wo du da gerade rauskommst?“) muss dazu jedoch oft erst eine Beziehung zu den Mitarbeitern aufgebaut werden, die über ein einziges Gespräch hinausgeht. Hier gilt das Gleiche wie beim Ansprechen von Besucher*innen: Es kann extrem ungut sein, wenn sich ein Mitarbeiter später an eine*n erinnern kann. Trotzdem seien hier ein paar Möglichkeiten skizziert:

  • In nahegelegenen Bars/Kneipen, in denen Mitarbeiter nach der Arbeit verkehren lassen sich nicht nur deren Gespräche über die Arbeit vom Nebentisch belauschen, sondern schon auch einmal mit dem einen oder anderen Mitarbeiter ungezwungen anbandeln. Es ist ja nun nicht unüblich, dass Leute diese Orte aufsuchen, um Kontakte zu knüpfen und auch nicht, dass einst dort verkehrende Leute irgendwann nicht mehr auftauchen man nie wieder was von ihnen hört und es muss ja keine*r wissen, dass man nur in der Absicht dort aufkreuzt, um eine bestimmte Information zu bekommen. Und sowieso sind Gespräche unter (scheinbar) betrunkenen Barbesuchern nicht selten indiskret und nüchtern betrachtet seltsam. Um entsprechende Bars ausfindig zu machen kann man etwa Gruppen von Angestellten oder auch einzelnen, die das Werksgelände verlassen unauffällig nachlaufen, oder man schaut sich die unterschiedlichen Bars in der Umgebung einfach mal an. Dass die Mitarbeiter dieser Unternehmen häufig entsprechende Werksausweise tragen hilft in diesem Fall dabei, sie zu identifizieren. Was man auf jeden Fall berücksichtigen sollte ist, dass Angestellte der Produktion in der Regel definitiv anders drauf sind, als Angestellte des Managements/der Verwaltung und man je nachdem auf wen man es abgesehen hat, gewisse Codes (Kleidung, Sprache, usw.) berücksichtigen sollte.
  • Die in Gewerkschaften organisierten Arbeiter*innen lassen sich über diese in einem geradezu vertraulichen Rahmen ausfragen, wie dies oder jenes bei ihnen läuft, usw. Weniger interessant sind dabei die Bürokratien innerhalb der Gewerkschaften, in denen sich vor allem die gewerkschaftseigene Bürokratenkaste tummelt. Diese Leute vertreten schließlich mehr oder weniger ebenfalls die Interessen ihrer Ausbeuter*innen, bzw. die derjenigen, die ihre Gewerkschaftsmitglieder ausbeuten und haben den Schutz ihrer Unternehmen relativ verinnerlicht. Viel interessanter ist die Basis, mit der man bei Gewerkschaftsveranstaltungen, auf Demonstrationen, usw. in Kontakt treten kann. In Deutschland sind die meisten Angestellten der Rüstungsindustrie wohl in der IG Metall organisiert.
  • Gewerkschaften sind out (verständlicherweise). Besonders unter jenen, die sich in der mittleren und höheren Verwaltung tummeln. In ist vielmehr, sich statt mit Arbeitskämpfen, mit der eigenen Karriere zu beschäftigen. Es mag da durchaus auch entsprechende Institutionen geben, die dies auf direktem Wege tun, der unauffälligste Weg jedoch hat augenscheinlich nur wenig mit der Karriere zu tun: Sport. Es gehört seit einigen Jahren zum guten Ton, auch einen sportlichen Lebenslauf zu pflegen, über den dann in der Arbeit munter gesprochen werden kann. Rennrad fahren, Marathon laufen (Firmenmarathone gibt es ja genug), oder irgendwelche anderen Sportarten, die gerade in sind. Oft gibt es historisch aus Werkssportvereinen entstandene Einrichtungen rund um die Firmengelände von großen Unternehmen, in denen sich zahllose Angestellte dieser tummeln, die jedoch auch anderen Personen offen stehen. Auch Boulderhallen, Tennisvereine, Golfclubs, usw. in der Nähe dieser Unternehmen werden oft von Mitarbeitern des Managements frequentiert. Und Sport ist immerhin wie auch Bars/Kneipen ebenfalls ein üblicher Ort, um mit fremden Leuten anzubandeln. Beste Voraussetzungen also, um das eine oder andere Detail und manchmal vielleicht sogar Firmengeheimnis in Erfahrung zu bringen, sei es durch das Mithören von Gesprächen oder das eigene Inkontakttreten mit einem Mitglied der Firma.

3.2.3 sich einschleusen

Eine grundsätzlich interessante Möglichkeit, um mehr über ein Unternehmen in Erfahrung zu bringen, ist sich dort auf dem Gelände anstellen zu lassen. Größter Nachteil dabei: Wenn man nicht gerade eine alternative Identität zur Verfügung hat, ist man im Anschluss namentlich bekannt und dank Finanzamt und Co. ist auch der Staat langfristig in Besitz der Information, dass man einmal in diesem Unternehmen gearbeitet hat. Es bietet sich also vor allem an, sich nicht direkt beim fraglichen Unternehmen anstellen zu lassen. Auch wenn dem Unternehmen die eigenen Personalien in der Regel selbst dann bekannt sind, wenn man dort als Putzkraft arbeitet, ist die Verbindung weniger direkt und verjährt auch einmal, während Finanzamtunterlagen bis in alle Ewigkeit aufbewahrt werden. Der relative Aufwand dieser Methode, sowie ihre Risiken legen nahe, dass ihr Einsatz gut überlegt und geplant werden sollte und nach Möglichkeit andere Methoden vorgezogen werden sollten. Klar sollte auch sein, dass diese Methode nur dort Sinn macht, wo man sich ganz konkret Informationen von erheblicher Bedeutung verspricht und unserer Meinung nach keineswegs angewandt werden sollte, um nur ein paar weitere Zuliefererfirmen, etc. ausfindig zu machen, deren Relevanz sich nicht näher bestimmen lässt.

Eine interessante Alternative dazu, sich in ein Unternehmen einzuschleusen kann auch der gezielte Einbruch sein, bei dem Dokumente und/oder Datenträger entwendet oder Computersysteme infiltirert werden. Beides sei hier jedoch nur als Möglichkeit ins Spiel gebracht und nicht näher diskutiert.

3.2.4 Logistik

Zuletzt sei hier noch auf einige Fragen hinsichtlich der Logistik eingegangen. Alleine die Logistikunternehmen, die Kriegsgerät verschippern, sowie ihre Logistikzentren zu kennen, genügt nicht unbedingt, bzw. ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Informationen darüber, wann und wohin Waffenlieferungen die Werksgelände der Rüstungsunternehmen verlassen sind essenziell, um diese stoppen zu können. Dazu macht es Sinn, die feineren Details der Logistik rund um Rüstungsunternehmen zu kennen. Welche Route nehmen etwa die LKWs und/oder Züge, die vom Werksgelände rollen? Wo legen die Fahrer*innen Zwischenhalte ein? Wo werden die Container auf Schinen/Schiffe/Flugzeuge/LKW verladen? Nehmen die Lieferungen den direkten Weg vom Firmengelände zu den Kunden oder werden die Produkte in Logistikzentren zwischengelagert? Werden die zur Herstellung benötigten Produkte und Rohstoffe direkt vom Zulieferer geliefert oder von einem Händler? Kümmern sich Logistikdienstleister darum, diese in Logistikzentren vorrätig zu halten und je nach Bedarf zu liefern, oder befindet sich diese Lagerhaltung auf dem Produktionsgelände? Je mehr dieser und weiterer Details aufgeklärt werden, desto mehr Möglichkeiten der Intervention ergeben sich daraus. Dabei kann es durchaus Sinn machen, LKW und Transporter (oft geht es in der Rüstungsindustrie auch um kleinere Mengen, für die Kleintransporter ausrichen), die vom Werksgelände der Rüstungsunternehmen rollen, zu observieren oder anderweitig zu verfolgen, welchen Weg diese nehmen. Zudem sind Regelmäßigkeiten bei der Anlieferung und dem Abtransport von Gütern von Interesse, sowie Korrelationen zwischen Phasen intensiverer Anlieferung und Großaufträgen, usw.

***

Dieser Artikel stellt eine Einführung dar, die selbstverständlich nur relativ selektiv einige Methoden zur Recherche von Informationen über die Rüstungsindustrie vorstellen kann. Er soll allen Interessierten als eine Inspiration dienen, eigene Methoden zu entwickeln, die Rüstungsindustrie hinter dem Schleier hervorzuzerren mit dem sie sich umgibt und ihre Schwachstellen offenzulegen.

Auf dass die Rauchschwaden der Zerstörung bald nicht mehr über den Schlachtfeldern dieser Welt aufsteigen, sondern über den Produktionsstätten dieser Todesindustrie!

ruestungsindustrie.noblogs.org

[1] Und dass die Halbleiterindustrie, die wie auch viele andere Sparten der Rüstungsindustrie auf Reinräume angewiesen ist, ziemlich fragil ist, das zeigt beispielsweise ein jüngerer Angriff auf Halbleiterhersteller in Grenoble: https://actforfree.noblogs.org/post/2022/05/09/crolles-bernin-isere-no-immediate-return-to-normal/ / dt.: https://zuendlappen.noblogs.org/post/2022/04/05/crolles-bernin-frankreich-sabotage-der-produktion-zweier-halbleiter-giganten/

[2] Einige allgemeine und umfangreichere Überlegungen dazu findest du beispielsweise in der PRISMA (Kap 4: Unsere eigene Sicherheit), zu finden z.B. hier: https://www.csrc.link/#prisma